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Auf jeden Einzelnen kommt es an

Im Grunde genommen habe ich erst im Chor der LYRA eines begriffen – die Welt ist
so, weil wir es zulassen, dass die Welt so ist. Wenn ich selbst nicht singe, singen
zwar die aktuellen Sänger. Aber anschließend eben keiner mehr. Und das muss uns
allen klar sein: Kultur wird nur von denen gepflegt, die sich eben trauen. Neue Wege
zu gehen oder auch nur auszuprobieren, anstatt auf der Couch sitzend darauf zu
warten, dass es andere für einen tun. In jedem öffentlichen Vortrag, Ansprache, in
jedem kleinen Lied steckt mehr Mut als wir gemeinhin wissen und zu akzeptieren
bereit sind. Wenn nichts geschieht – geschieht eben NICHTS! Aber ohne die
Menschen, die sich trauen, etwas aufzuführen, sind wir doch arm dran, oder? Gerade
diese schreckliche Coronazeit erinnert uns daran, was wir früher alles für garantiert
und unveränderlich genommen haben. Und die Zeit erinnert uns daran, dass nur WIR
selbst bessere Zeiten gestalten können. Jeder von uns. Ich vermisse diese Zeit.
Wenn im normalen Leben 40, 50, 60 Leute anfangen gleichzeitig zu reden, kommt
nur Chaos heraus. Wir verstehen nichts mehr. Im Gesang aber wird aus 40, 50, 60
Stimmen Chorklang, Harmonie, Emotion. Wir berühren das Publikum und das
Publikum berührt uns durch ihren Applaus, durch das Leuchten in den Augen, durch
das Lächeln in den Gesichtern. Wir Sänger auf der Bühne nehmen sehr wohl das
Feedback wahr. Im Grunde genommen arbeiten wir das ganze Jahr für diese
Erlebnisse; Für ein Konzert. Für die Wertungssingen, für die Siege und die
Niederlagen; So oder so: wir schenken den Menschen Lieder und diese beschenken
uns mit Anerkennung und Freude. Warum singen eigentlich so wenige Menschen –
öffentlich? Weil in den Schulen nicht mehr gesungen wird? Kann sein, muss nicht
sein. Wer keine Volkslieder singt, kann ja trotzdem „Enter Sandman“ mitträllern. 2019
waren 40.000 auf dem Maimarkt und wehten „Metallica“ fast von der Bühne. Warum
da? Fühlen sich Menschen in der Menge sicher? Ist es DSDS, in dem Dieter Bohlen
Menschen, die sich trauten zum Gaudium anderer fertig gemacht hat? Was für eine
Lehre hinterlässt DSDS: Wer sich traut, wird lächerlich gemacht? Warum eigentlich
gönnen wir das diesen Bohlens dieser Welt? Wem schaden wir damit wirklich? Doch
alleine uns selbst, oder etwa nicht? Denn, wird irgendein Ereignis besser, wenn „die
Konserve“ singt oder wenn die Anwesenden sich selbst ein Herz fassen? 40 Mann
AUF der Bühne sind genauso gut wie 40.000 VOR ihr. Hier ist keiner allein. Hier wird
keiner fertig gemacht. Wir hören aufeinander. Wir unterstützen einander. Wir lernen
voneinander. Wir sind Musik. Lasst uns mehr Mut haben. Wer seine eigene Kultur
erhalten und/oder andere Kulturen kennen lernen möchte, kommt an sich selbst nicht
vorbei. Egal in welchem Alter. Auf JEDEN EINZELNEN kommt es an. Bis zur
nächsten Woche,
Ingo Kuntermann

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