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Der Sauschwob! – Teil 4

„Muss i denn, muss is denn, zum Städtele hinaus“ ist ebenfalls ein von Silcher adaptiertes und 1827 publiziertes Volkslied, das außerhalb Deutschlands durch die englischsprachige Adaption Wooden Heart von Elvis Presley 1960 zu einem doch sehr entfremdeten, schmalzigen, ja geradezu narzisstisch umgetexteten Millionenseller wurde und damit eine weltweite Verbreitung erfuhr.

Damit wurde zumindest die Melodie zu einer der international bekanntesten deutschen Volksweisen. Möglicherweise hat Silcher die Melodie aus seiner Heimatregion, dem Remstal übernommen und hat dabei die Dichtung des Stuttgarter Heinrich Wagner integriert.

Als Soldaten- und Abschiedslied, später auch als Wanderlied, fand das Volkslied weite Verbreitung bis heute. Ältere Semester erinnern sich möglicherweise an den Film „Das Boot“ von Lothar-Günther Buchheim, in dem das U96 zu den Klängen des Liedes den Marinehafen Saint Nazaire verlässt. Noch heute soll das Lied bei der Bundesmarine angeblich gespielt werden, wenn ein Schiff auf Tour geht. Elvis Presley soll die Melodie bei einem gemeinsamen Manöver mit deutschen Soldaten aufgefallen sein.

Auch Vico Torriani, Heino, Karel Gott und Vicky Leandros haben dieses Lied, oftmals sprachlich übertragen, in ihre Setlist für europa- oder weltweite Konzerte übernommen.

Das Lied selbst ist ohne das Wissen um das harte Leben in Württemberg in den nachnapoleonischen Zeiten und das schwäbische Wesen an sich nicht zu begreifen. Die „Jahre ohne Sommer“ 1816 und 1817 haben das Land zerrüttet, vielen Menschen und viel Vieh den Tod gebracht.

Viele Württemberger mussten übers Jahr ins Ausland („Schwabenzüge“), um dort zu arbeiten. Oftmals sehr weit weg, auch nach Holland, Frankreich oder nach Großbritannien und Ungarn.

Das Lied handelt vom Abschied mit der Verheißung auf Wiederkehr und dass der unfreiwillige „Weltenbummler“ immer an seine Angebetete denke. Das Lied handelt von seiner Versuchung, sich anderswo neu zu orientieren und durch die schönen Mädchen dort von der ursprünglichen Liebe abgelenkt zu werden. Aber der Sänger beteuert, dass es für ihn keine andere geben werde. Damit wird auf das harte Los der wartenden Frauen angespielt, die nicht einfach mal so gerade mal ein Jahr auf den Liebsten warteten, sondern oftmals Jahre lang auf die mögliche Heimkehr des Geliebten warten mussten, weil oftmals das Geld für Heimfahrten nicht da war.

Die tänzelnde, liebliche Melodie verdeckt diese menschlichen Schicksale vermeintlich, aber es zeigt damit lediglich die schwäbische Art, in der die Dinge nie direkt, sondern nur indirekt, nie deutlich, sondern verkleinernd oder gar beschönigend angesprochen werden.

Im Schwäbischen ist auch „der Benz“ nur „ein Audole“ und auch eine Villa nur „a Häusle“, so wie im Englischen ein Palast nicht als Palast sondern als „House“ oder „Estate“ bezeichnet wird. Understatement und „stiff upper lip“ gelten also auch im Schwäbischen – Haltung bewahren, wenig Gefühle zeigen.

Selbstverständlich kommt es im Lied zu einem Happy-End. Bei der Lese im Herbst kommt ER zurück und es wird Hochzeit sein. Auch das lässt wieder viel Raum für Phantasie, wie es wohl den Frauen ergangen sein mag, deren „Schatz“ nicht nach Hause kam. Und die viel Herzschmerz erlitten und irgendwie weiter machen und sich durchschlagen mussten. Und es lässt viel Phantasie zu, wie es den Männern ergangen sein mag, die nicht nach Hause konnten. Weil sie vielleicht vor Ort bei Arbeitsunfällen oder an Krankheiten starben und niemand sich darum scherte, wer sie waren.

Trotz aller Harmlosigkeit und Nettigkeit geht es im Lied um das Ansingen gegen die eigene, innere Verlassenheit, Ängste und Einsamkeit des Menschen, die/der einen Schritt hinaus in die Ungewissheit der Welt tut.

Im Übrigen mussten ja nicht nur arbeitssuchende Männer das Land (zeitweilig) verlassen, das mussten auch viele (junge) Frauen. Wir singen hier also erlebte Geschichte, vielleicht sogar aus unseren eigenen Familien.

Nächste Woche geht’s weiter.

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