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Aus der Traube in die Tonne – Teil 1

grapes on vineyard during daytime

In der Tat bekommen etliche Schriesheimer/innen einen Schreikrampf, sollten die Schriesheimer Männergesangsvereine dieses Lied nochmal intonieren. Dieses Lied ist für viele der absolute Gipfel der bürgerlichen Biederkeit und Schrecklichkeit. Ich habe mir sagen lassen, dass sich manche lieber „Sidos“ (der ganz (spieß-)bürgerlich Paul Hartmut WÜRDIG heißt und dessen Familienname so klingt, als ob Heinrich Mann eine Romanfigur für „Der Untertan II“ gebraucht hätte) „Arschficksong“ in Dauerschleife reinziehen würden, anstatt „Aus der Traube in die Tonne“ nochmals anhören zu müssen.

Lassen wir das doch einfach mal so stehen und uns dennoch aber nicht abschrecken, dem Ganzen auf den Grund zu gehen – wohlgemerkt, der Traube in der Tonne. Wie so oft steht auch in diesem Lied ein Zusammenspiel zwischen zwei Personen, einem Dichter und einem Komponisten. Fangen wir mal mit dem Komponisten an.

Die Melodie stammt von Kurt Lißmann/Lissmann, einem – nach Ralph Siegel – meist gespielten deutschen Komponisten überhaupt. Seine 400 Werke werden vielfach auch durch renommierte Künstler/innen unserer Zeit (u.a. Heino, Stefanie Hertel, Andrea Jürgens) interpretiert. Er muss dadurch durchaus wohlhabend geworden sein, denn sein Werk „Aus der Traube in die Tonne“ wurde allein im deutschsprachigen Raum offiziell 400.000-mal verkauft. Von den ganzen Raubkopien mal abgesehen. Es gibt übrigens auch eine englische Version. Über die Person Kurt Lißmann breitet sich jedoch ein Schweigen und eine Form von biographischem Minimalismus aus. Das ist selten gut. Denn ein Komponist, der sehr oft gespielt wurde und wird, sollte doch eine reiche Biographie haben.

Geboren wurde Lißmann als Jan Friedrich Lißmann im Jahr 1902 in Wuppertal-Elberfeld und er starb 1983 in einem anderen Stadtteil Wuppertals. Gelebt hat er in Witten. Warum er seinen Vornamen geändert hat, dazu gibt es keine Erklärung. Wir wissen aber, dass er einen Sohn namens Jan hatte, der der Kaufmann wurde, der Kurt bzw. Jan Friedrich Lißmann ursprünglich werden sollte. Das wollte sein Vater so, der möglicherweise Friedrich Lißmann hieß.

Kurt Lißmann gründete aber bereits im Alter von 17 ein eigenes Orchester und übernahm Dirigat und Komposition. Er studierte auch 3 Jahre lang Musik. Eine Verwandtschaft zu der Hamburger Musikerfamilie Friedrich Lißmann besteht wohl nicht. Auch nicht zu dem 1915 bei Ypern gefallenen Maler Friedrich Lißmann oder zur jüdischen Münchner Musiker- und Malerfamilie Hermann Lißmann, die 1943 in Majdanek vergast wurde.

Kurt Lißmann ist irgendwie nicht fassbar. Sein Talent kam scheinbar aus dem Nichts und verschwand nach seinem Tod wieder ins Nichts. Er war nachweislich NSDAP-Mitglied und trat auch 1939 auf den Düsseldorfer Reichsmusiktagen auf. Der Zweite Weltkrieg ist ein Schwarzes Loch.

Nach 1945 machte er mit seinen Weinliedern und anderen Kompositionen weiter, bekam das Bundesverdienstkreuz und jede Menge Chorleiter-Auszeichnungen und starb dann 1983. All das wirft viele Fragen auf und macht mir selbst ein sehr ungutes Gefühl. Die Dichtung selbst stammt nicht von ihm, nur die Komposition der Melodie. Die Dichtung wurde möglicherweise durch Richard Kopp verändert und in Teilen angepasst. Völlig original ist sie nicht. Das Original stammt von Friedrich Johann Georg Christian Hinze, der 1804 in Lübeck geboren wurde und bereits 1857 in Sankt Petersburg/Rußland verstarb.

Nächste Woche geht’s weiter.

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