Zum erweiterten modernen Repertoire der Lyra gehört auch das Lied „Ade, Ade“ der Gruppe „Santiano“. Die Gruppe stammt aus Schleswig-Holstein, formierte sich 2011 und mischt Folk, Pop, Rock, Schlager mit volkstümlichen Melodien und Seemannsliedern. So eine Art „6-fach Hubert von Goisern“ – nur eben auf norddeutsch. Die Alben der Gruppe konnten sich jedes Mal lange auf Platz 1 der deutschen Album-Charts halten (39-187(!) Wochen). Meistens also fast ein Jahr oder gar mehrere Jahre. Hier der Text des von uns gesungenen Liedes:
Ade, Ade
Ade, Ade
Woher wir kommen, wohin wir gehen
Ob wir uns einmal wiedersehen
Was gestern war, was morgen wird
Wohin die Zukunft uns auch führt
Heut sind wir hier, es ist uns gleich
Das wird ein Fest heut Nacht mit euch
Er geht auf uns, der letzte Krug
Hört wie das Abenteuer ruft
Singt mit uns aus tausend Kehlen
Singt mit uns auf gute Zeit
Auf die Freundschaft, auf das Leben
Ein Moment in Ewigkeit
Singt mit uns auf gute Reise
Gleich wohin die Wege gehen
Unser Schicksal wird uns weisen
Dass wir uns einst wiedersehn
Ade, Ade
Ade, Ade
Ade, Ade
Vergesst die Zeit, vergesst die Welt
Was uns heut Nacht zusammenhält
Ist der Moment, der Augenblick
Heut hält uns keine Macht zurück
Denn wir sind hier, für diese Nacht
Hat uns das Schicksal hergebracht
Er geht auf uns, der letzte Krug
Hört wie das Abenteuer ruft
Singt mit uns aus tausend Kehlen
Singt mit uns auf gute Zeit
Auf die Freundschaft, auf das Leben
Ein Moment in Ewigkeit
Singt mit uns auf gute Reise
Gleich wohin die Wege gehen
Unser Schicksal wird uns weisen
Dass wir uns einst wiedersehen
Ade, Ade
Sei diese Nacht ein Teil von uns
Bis sie uns schlägt, die letzte Stund
Alles vergeht, doch das hier bleibt
Ein kleines Stück Unendlichkeit
Singt mit uns aus tausend Kehlen
Singt mit uns auf gute Zeit
Auf die Freundschaft, auf das Leben
Ein Moment in Ewigkeit
Singt mit uns auf gute Reise
Gleich wohin die Wege gehen
Unser Schicksal wird uns weisen
Dass wir uns einst wiedersehen
Ade, Ade
Ade, Ade
Ade, Ade
Dieses Mal singen wir also modern auf Deutsch. Ein schmissiges Lied. Es kann von jedermann/-frau mit gegrölt werden. Es singt sich auch noch mit mehreren Bier oder Schnaps intus. Auf der Bühne, im Festzelt, am Ballermann. Man muss nicht singen können, es reicht etwas melodischeres Sprechen. Für einen Chor besteht die Herausforderung darin, die „hois“ und „hums“ richtig zu platzieren sowie die Endungen im Refrain nicht vorzeitig zu intonieren, sondern die Vokale lang zu ziehen. Sonst fällt der Song massiv ab. Der Text fängt ja eigentlich wunderbar an, mit dem philosophischen „Woher kommen wir, wohin gehen wir“, aber der Gedanke wird nicht weiter ausgeführt. Es ist vom Schicksal die Rede, das „uns“ zusammengebracht habe… aber was zuerst so klingt, als ob ein Mann eine Frau angräbt, um mit ihr hinter dem Festzelt Tacheles zu reden, verläuft dann wiederum zu einem Sauflied in der Art von „lass dich nicht lumpen, hoch den Humpen“, kombiniert mit einem vergeblichen Versuch den Spirit von „An Tagen wie diese“ von den „Toten Hosen“ reinholen zu wollen.
Der Song mäandert von einem nicht weiter ausgeführten Gefühl zum nächsten, so wie ein Mensch, der sich nicht in einer Beziehung binden will, sondern ständig fürchtet, etwas noch Besseres zu verpassen und sich daher nicht festlegen will. Auch dieser Song ist wieder dem Zeitgeist geschuldet. Er bleibt fleisch- und blutleer. Man sehnt sich geradezu nach „let’s rock“ und „Great balls of fire“, deren Zuhörer genau wußten, was gemeint war mit lets rock, lasst uns die Dinge wegstoßen, draufhauen, Rabatz machen, Sex!
Ja, der Song Ade, Ade war ganz vorne in den Charts. Aber was besagt das schon? Er kommt nicht an seine Vorbilder heran. Ich fühle mich wie „Momo“. Die Rocksongs, die Volkslieder sind das Original, sie transportierten noch Emotionen wie Momos Geschichten. Gigi Fremdenführer hat sich die Geschichten gemerkt und er wird berühmt, in dem er sie einem immer größeren Publikum weitererzählt. Aber das Publikum will immer neue Geschichten hören. Momo kann Geschichten erzählen und aufbauen, aber Gigi Fremdenführer kann sie nur wiederholen. Also behält er den Plot der Geschichten und tauscht nur die Namen und Orte aus und macht sie damit immer seichter, austauschbarer und damit immer unbedeutender.
Genau so geht es mir mit „ade, ade“. Ade, ade ist das Werk der Gigi Fremdenführer von heute. Man kann damit viel Geld verdienen, das ist in Ordnung. Aber wirkliche Kunst ist es nicht mehr. Nicht weil sie modern ist. Sondern weil sie austauschbar ist. Phrasen. Zusammenhanglos. Zusammengestoppelt. Emotionslos. Nur im Suff wirklich zu ertragen.
Ingo Kuntermann