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Das Frauenbild im deutschen Volkslied – II

Reaktionärer Kitsch oder unabdingbare Grundlage des modernen, bürgerlichen Individuums?

Ich habe schon einmal ausgeführt, dass das liberale Kampflied des Biedermeier „Die Gedanken sind frei“ bereits im Jahr 1780 zum ersten Mal aufgeschrieben wurde. Das bedeutet wiederum, dass das Lied einen viel älteren Ursprung haben muss. Vielleicht Jahrzehnte älter. So ist es auch mit den Volksliedern. Das Datum des ersten Aufschrieb, des ersten Neu-Satzes ist mitnichten das Entstehungsdatum, das Jahrzehnte, mglw. sogar ein Jahrhundert vorher datiert werden muss.

Das bedeutet, dass das Aufbegehren des bürgerlichen und bäuerlichen Menschen gegen die drückenden Verhältnisse (kaum Bildung, hohe Steuern, Rechtlosigkeit, mangelnde Selbstverwaltung, schlechte klimatische Verhältnisse („kleine Eiszeit“), kulturelle und grammatikalische Vernachlässigung der deutschen Sprache zu Gunsten der Adelssprache Französisch, enge religiöse Sichtweisen, geringes Selbstwertgefühl und scheinbare Wertlosigkeit des/der Einzelnen) sehr viel früher eingesetzt haben muss. Und wie schon erwähnt – ohne Sprache kein eigenes Selbstbewusstsein, kein Selbstbild, keine Fähigkeit eigene Ideen zu formulieren.

Die Goethes und Herders waren nur die Spitze dieser bürgerlichen Gegenbewegung. In jeder größeren Stadt gab es Literaturvereine, in denen auf Deutsch und Französisch parliert, aber auch diskutiert, musiziert und Geschichten und Lieder gesammelt wurden. Hier wurden die Volkslieder gesammelt und neu gesetzt. Nicht nur „Die Gedanken sind frei“. Wie ist nun das Frauenbild in den Volksliedern? In den Liedern selbst ist immer nur von „der Einen“ die Rede. Bezeichnungen wie Liebling, Herzensschatz, Mägdelein, Liebste stellen die Frau in die Rolle der Angebeteten, die sie davor eigentlich nur in der höfischen Dichtung des Ritterlichen Minnegesangs im Mittelalter hatte. Die Begegnung ist immer etwas Besonderes, ja Schicksalhaftes. Die Frau wird zu einer Art Idol oder gar Ideal. Selbstverständlich rein, es ist oft vom „weißen Kleide“ die Rede, aber in vielen Liedern singen dann die Vögelein „von Lieb und Lust“, folglich ist es mit der Reinheit dann vorbei, aber die Vereinigung ist nicht nur körperlich real, sondern auch mystisch, eine Frau, ein Mann, füreinander bestimmt.

…weiter in der nächsten Woche.

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