Reaktionärer Kitsch oder unabdingbare Grundlage des modernen, bürgerlichen Individuums?
Selbstverständlich kann da ein Giaccomo Casanova nicht beiseite stehen. Auch ihm werden – von ernst zu nehmenden Historikern – ohne jeden wirklichen Beleg Tausende Frauen zugerechnet. Ist das wirklich real? Eher Fake News! Oder soll die schiere Masse nur hochsymbolisch zudecken, dass die seelische Einsamkeit unermesslich groß war? Dass das nicht-aufeinander-eingehen und -lieben-können die gesamte Gesellschaft des „ancien regime“ in den Ruin treibt, nicht nur den finanziellen? Kein Wunder, dass Da Pontes Libretto für Mozarts Oper die Situation satirisch-deutlich darstellt.
Ich möchte hier keine bürgerliche und bäuerliche Idylle schildern. Das Leben nicht nur, aber insbesondere der Frauen auf dem Land war in diesen Jahrhunderten hart. Hygienische Verhältnisse katastrophal. Der Hunger real. Viele starben im Kindbett. Es war normal, dass ein Mann zwei, drei oder vier Ehefrauen in seinem Leben hatte. Aber dennoch waren die Ehepartner aufeinander angewiesen.
Schon viel mehr eine Schicksals- oder auch Liebesgemeinschaft als bei den adligen Ehe-Allianzen. Nehmen wir die Geburt; Ärzte waren zu der Zeit in der Regel Quacksalber, Bader reisend und daher nicht immer verfügbar. Hebammen nicht in jedem Ort, zumal sie als „heilende Frauen“ über die Jahrhunderte verfolgt und auch verbrannt wurden. Wer war bei den Geburten dabei? Sicherlich geburtserfahrene Frauen, aber sicherlich auch geburtserfahrene Männer. Wer einem Kalb auf die Welt helfen kann, warum sollte er dies nicht bei seinem eigenen Kinde tun? Wenn dann die eigene Frau dabei stirbt, stirbt dann möglicherweise der „Herzensmensch“, „die Liebste“, „der Augenstern“.
Auch so können wir uns Inhalt und Entstehung von Volksliedern erklären. Von Menschen, die näher beieinander sind, die einander brauchen, die Gefühle ausdrücken, soweit dies eben damals schicklich und möglich war.
Sprache, Gesang, Musik sind immer auch seelische Codes ihrer Zeit. Die Frau in der tiefen Tragödie ihres Daseins, aber emporgehoben als Mensch. Nicht als Objekt eines Don Giovanni, sondern als Subjekt des Herzens.
Zugegeben: Für das 19. Jahrhundert war das modern. Die Frau endlich als Mensch dargestellt. Mit Bedeutung und Wirkung. Aber dabei blieb es eben. Das Frauenbild des 19. Jahrhunderts im Volkslied war als Basis wichtig. Ohne dies, keine Weiterentwicklung.
Aber die wahre Weiterentwicklung des Frauenrolle in der Gesellschaft haben andere übernommen, insb. die Frauen selbst. Daher muss konstatiert werden, dass das Volkslied seine Basis nicht erweitert hat. Wichtige Entwicklungen verpasst hat. Aber wer weiß, was einem Hubert von Goisern und seinen Apologeten noch so alles einfällt.
Vielleicht wird es mal an der Zeit, dass Frauen Volkslieder für Männerchöre schreiben und das Frauenbild modernisieren helfen.