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Anton Geiß – Teil 2

… und die politische Emanzipation der Männerchöre

Auch im Land und in den Kommunen drängen immer mehr Wahlberechtigte an die Urnen. Und die Gesangsvereine haben ihren großen Anteil daran. Das Beispiel der Liberalen machte Schule. Auch andere politische Gruppierungen gründeten Bildungs-, Kultur- und Gesangsvereine. Die Arbeiterbewegung (die spätere SPD), die Bauernparteien (Bauernbund etc.) ebenso wie der politische Katholizismus (im Zentrum, Polenpartei oder in der Bayerischen Volkspartei).Dass die Lyra erst 1923 gegründet wurde, widerspricht diesem nicht. Es ist geradezu naiv diese Gründung nur dahingehend sehen zu wollen, dass die Männer auch mal nichtgeistige Lieder singen wollten. In der Lyra sammelten sich die katholischen Familien vor allem auch aus politischen Gründen. Weil man es in der Demokratie der Weimarer Republik völlig bedenkenlos tun konnte. Insb. SPD und Zentrum galten als Reichsfeinde im Bismarckschen und Wilhelminischen Deutschen (Kaiser-)Reich. Deren (Gesangs-)Vereinigungen wurden polizeilich überwacht. Da wurde nicht nur politisiert und gesungen, es wurden wöchentlich Rabattmarken verkauft. Jedes markengefüllte Heftchen wird aufs Bürgermeisteramt getragen und das Bürgerrecht gekauft. Jedes Jahr vergrößert sich so die Zahl der Wahlberechtigten. Der Treppenwitz der Weltgeschichte dabei ist, dass vielfach jüdische Anwälte die Behördenversuche niederkämpfen, diese Bürgeranträge trotz Zahlungen des Bürgergelds zu unterlaufen und zu verzögern. Millionen von deutschen Bürgern verdanken diesen Anwälten, dass ihre Rechte erfolgreich vertreten wurden. Dies nur mal ganz nebenbei. Diese politische Idylle hatte aber auch Kehrseiten. Menschen pflegen sich mit Ihresgleichen zu versammeln und Andere auszuschließen. Die Kleinstaaterei des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und des Deutschen Bundes hatte Auswirkungen auf die Köpfe der Menschen. Die deutsche Sprache galt noch bis in die Zeit der Romantik als kulturell minderwertig. Die Menschen waren durch Dialekte und Konfession getrennt. Hochsprache lernten die Menschen lediglich in der Schule oder im Gesangsverein. Das Fernsehen war noch nicht erfunden. Bücher und Zeitungen auf dem Land schwer erhältlich. Neue Ideen haben es daher schwer. Der Fremde bleibt fremd. So lustig das Buch „Schriesemerisch für Schriesemer“ und die Anekdote über „Hemmer hemmer“ sich auch liest, „Alt-„Schriesheimer können bis heute aufgrund von Nuancen erkennen, ob jemand „von do“ ist (und folglich DAZUgehört) oder eben „vun Hause“ oder „Dossema“ (und damit Ausländer und fremd) ist. Der Ehrenvorsitzende der Lyra, Werner Held kann ein Lied davon singen. Anfang der 1950er Jahre gab es Prügel, weil er aus Leutershausen in Schriesheim „a Mädle poussierte“.

Teil 3 folgt.

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