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Anton Geiß – Teil 3

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… und die politische Emanzipation der Männerchöre

Die Vehemenz, mit der noch in den 1970er Jahren der katholische gegen den evangelischen Sandkasten verteidigt wurde, lies für Außenstehende den Schluss zu, dass der 30jährige Krieg wohl doch eher 1948 als 1648 zu Ende gegangen sein müsse. Dass mit Peter Riehl in den 1960er Jahren ein Protestant bei der katholischen Lyra löste erregte Debatten bei den evangelischen Kirchenältesten (und ihren politischen Kräften) aus, die damals zugleich den Bürgermeister Heeger stellten. All das ist tiefenpsychologisch verständlich. Der totale deutsche Zusammenbruch 1945 ließ ein riesiges Vakuum zurück. Gewissheiten und Überlegenheitsgefühle waren perdu. In dieser Situation suchen sich Menschen neue Gewissheiten und geistige Fundamente und Fluchtorte, die sie um so vehementer gegen alles und jeden verteidigen konnten. Dass die Bundesrepublik und das Land Baden-Württemberg daraus überhaupt gelingen und Brücken zwischen Gegensätzen und Unvereinbarem bauen konnten, ist jeweils eine der größten politischen Leistungen unserer Geschichte. Dieser Sidekick ist nötig, um zu verstehen, mit welchen Kräften auch damals im Kaiserreich und im Großherzogtum Baden, später in der Weimarer Republik und der Republik Baden zu rechnen war. Ob Anton Geiß selbst gesungen hat, weiß der Verfasser nicht. Möglich ist es. Tanz, Lieder und Geschichten sorgten für Abwechslung eines immer gleichen, kargen und arbeitsreichen Tages. Anton Geiß stammte aus dem Allgäu. Damals keine bevorzugte Wohngegend, in die man heute zuerst einen 40-Tonner mit Bargeld schicken muss, um dort Wohneigentum zu erwerben. Sondern eine bettelarme (Auswanderer-)Region im Schatten der Märchenschlösser von Ludwig II.. Kinderreiche Familien, die nicht aus den Bodenerträgen ernährt werden konnten. Sobald Anton Geiß alt genug war (mit 7 oder 8), wurde er mehrere Sommer hintereinander zu fremden Bauern als Hirtenjunge gegeben. Darunter litt sicherlich nicht nur seine Bildung. Mit 13 war er in der Volkschule fertig. Hirtenjungen wurden i.d.R. nicht gut behandelt und saßen bei den Mahlzeiten buchstäblich am Ende der Nahrungskette. Sie bekamen das, was die älteren Knechte und Dienstmägde übrigließen. Gelobt wurde selten, geschlagen wurde sehr viel häufiger. Das war der Stil der Zeit bis weit ins 20. Jahrhundert. Sicherlich hatte der kleine Anton kaum ein anderes Schicksal. Doch seltsam. Was andere das Leben verbittert hätte, schien ihm nicht zu schaden. Alle Hinweise zu Anton Geiß deuten auf einen ausgeglichenen und ausgleichenden, freundlichen und empathischen Zeitgenossen hin. Selbst erbitterte Gegner attestieren ihm das. Anton Geiß muss also eine Resilienz, eigene Abwehrkräfte im Kopf und Denken gegen sein hartes Schicksal entwickelt haben, die ihn das durchstehen ließ. Teil 4 folgt.

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