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Anton Geiß – Teil 5

…und die politische Emanzipation der Männerchöre

In der Tat hat Bebel das immer persönlich verhindert, wenngleich er den Reformflügel verbal bei sich jeder bietenden Gelegenheit angriff. Bebel war weder borniert noch dumm, er war ein Opfer seines eigenen beruflichen Erfolgs geworden. Es ist allgemein und für jeden schwierig, die eigene Existenz in Frage zu stellen oder grundlegend zu ändern. August Bebel war in der Tat eine beeindruckende Persönlichkeit. Wenn er im Berliner Reichstag sprach, schwieg das Plenum. In der Tat müssen die Altpreußen und Deutschkonservativen ihm mit einer Art fasziniertem Ekel zugehört haben, aber sie hörten zu. In der Tat konnte Bebel gut sprechen und analysieren. Nur hatte das zu seiner Zeit nie irgendeine praktische Konsequenz für die SPD oder deren Mitglieder. Dabei mangelte es nicht an potentiellen Koalitionspartnern. Die Zentrumspartei unter Windhorst war wie die SPD ein „Reichsfeind“ des kaiserlichen Deutschlands und suchte Anschluss an die SPD, nachdem die Koalition mit den katholischen Polenparteien in Posen und Schlesien trotz des gemeinsamen Glaubens am Sprachenstreit zerbrach. Die Liberalen waren gespalten. Die Nationalen waren zumindest bis 1890 strikte Bismarckanhänger, die Freisinnigen unter Friedrich Naumann suchten aber ebenfalls Verbündete für eine weitergehende Demokratisierung Deutschlands. Niemand glaubt das heute, aber die spätere „Weimarer Koalition“ aus SPD, Zentrum und DDP hatte bereits ab dem Zeitpunkt von Bismarcks Sturz im Jahre 1890(!) bei Wahlen zum Reichstag RECHNERISCH die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (56%) und zugleich der Sitze (55%). Damals wurden die Sitze noch per Mehrheitswahlrecht ohne Fünfprozenthürde direkt gewählt. Mit konkreten Wahlkreisabsprachen hätten die drei späteren „Weimarer“ Parteien bei Reichstagswahlen wahrscheinlich 60-65% aller Wahlkreise gewonnen. Aber sie taten es nicht. Die Südwest-Parteien hingegen konnten rechnen. Sie sprachen miteinander. Die Reichsparteien verblieben lieber in ihren ideologischen Schützengräben. Es kam zu keiner Reichs-Reform-Koalition. Windhorst und Bebel konnten auch persönlich nicht miteinander. Die Zentrums-Bayern torpedierten den Zentrums-Rheinländer Windhorst. Katholiken und Protestanten trennten Welten. Auch Bebel und den SPD-Reformflügel. Die preußischen Freisinnigen folgten den Nationalliberalen und wandten sich wieder dem Kaiserreich zu und wurden lieber Reserveoffiziere als Reformer – siehe dazu stellvertretend den Wandel des Köpenicker Bürgermeisters in „Der Hauptmann von Köpenick“ von Zuckmayr. Auf Reichsebene gelang Demokratisierung und Reform daher vor 1918 nicht. Auf Landesebene im Süden Deutschlands sehr wohl. Schrittchenweise.

Nächste Woche letzter Teil.

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