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Weihnachtsansprache

Sehr geehrte Weinkönigin Miriam I., sehr geehrte Weinprinzessinnen Sophie und Ylva, sehr geehrte Frau Abgeordnete Fadime Tuncer, sehr geehrter Herr Bürgermeister Oeldorf, sehr geehrte Mitglieder der Schriesheimer Stadtrats, Andrea Diehl, Frank Spingel, Wolfgang Renkenberger, lieber Heinz Kimmel, liebe Doris Burkhardt, liebe Freundinnen und Freunde und liebe Mitglieder der Lyra, verehrte Gäste;

Seien Sie herzlich willkommen zu traditionellen Adventsfeier des MGV Lyra 1923 Schriesheim an ebenso traditionsreicher Stätte, dem Pfarrsaal der katholischen Kirchengemeinde Schriesheim. Wir freuen uns, hier wieder mit Ihnen feiern zu dürfen.

Viele von Ihnen, wahrscheinlich sogar die überwältigende Mehrheit weiß es und war dabei: Die Lyra wurde dieses Jahr 100. Doch zuvor waren da viele Ängste und Befürchtungen. Der Wechsel der Vorsitzenden erfolgte im Januar. Werden wir es in dieser kurzen Zeit schaffen, das dazugehörige Fest vorzubereiten? Wird es gelingen? Was machen wir, wenn nur wenige Chöre kommen können? Werden wir Kooperationspartner finden? Werden die Neuerungen auch angenommen? Werden wir genug Leute sein, um alles vorbereiten und durchführen zu können? Werden unsere eigenen Sänger die Energie für dieses große Ereignis aufbringen? Werden überhaupt Leute bei dieser Bullenhitze kommen?

Sie wissen es ja selbst: Es wurde und war ein rauschendes Fest. Die Lyra hat sich von ihrer besten Seite gezeigt und hat nicht nur neue Maßstäbe in der verwendeten Bühnentechnik, sondern auch im Miteinander und in der Zusammenarbeit Schriesheimer Vereine, Künstlerinnen und Künstler gesetzt. Wir alle zusammen waren froh, dass wir damit die schlimme Corona-Zeit hinter uns lassen konnten, die vielen Mit-Chören das Genick gebrochen hat. Eine Zeit, die auch viele Menschen einander entfremdet hat.

Dahingehend hat unser Fest auch wieder viele Menschen zusammengebracht. Sowie der Lust am Leben und an der Kultur gekonnt Ausdruck verliehen.

Es zeigt auch, dass Sie als Publikum ein wichtiger, ja geradezu ein gleichberechtigter Teil einer Feier oder eines Festes sind. Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre hat einmal gesagt: „Die Hölle, das sind die anderen“. Meiner Meinung nach ist das so pauschal einfach nicht wahr. Sartre versuchte sich dadurch die Menschen vom Leib zu halten. Wir hingegen wollen bei einer Feier in Kontakt zueinanderkommen. Erst durch Ihre Reaktionen, Ihr Klatschen, Ihre begeisterten Gesichter, Ihre Rührung singen wir nicht einfach in den leeren Raum hinein, sondern bekommen erst dann Bezug zu unserem eigenen Tun. Einen Widerhall und auch selbst die Freude zurück. Daher: Machen Sie weiter so. Lassen Sie sich nicht abhalten.

Jetzt wäre Applaus angesagt… 😊

Nach diesem tollen Jubiläum stellt sich die Frage: Wie geht es nun weiter?

Der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther hat einmal gesagt, dass lebenslanges Lernen vom Kindes- bis ins hohe Alter grundsätzlich kein Problem sei. Mit einer Einschränkung.

Es dürfe aber nicht so geschehen, wie wir es aus der Schule oder auf dem Berufsleben kennen. Nämlich getrieben von Angst und immer mit dem übernervösen Blick auf das, was wir aktuell nicht könnten. Sondern mit aufrichtiger Begeisterung und dem frischen Mut, gerade auch das anzugehen, was wir noch nicht kennen und können, weil wir einen tieferen Sinn darin sehen und es uns zutrauen.

Die Volkslieder, die wir kennen, sind in der Zeit der Romantik gesammelt worden. Gerade mal vor 200 Jahren. Goethe, Herder, die Gebrüder Grimm und viele andere sahen sich als europaweite Sammler und Hüter von bis dato nicht gehobenen Schätzen aller möglichen Sprachen.

Der tiefere Sinn der Lyra besteht folglich darin, dass wir damit auch die Mit-Hüter dieses kulturellen Schatzes sind. Nämlich der singbaren Musik aus Vergangenheit und Gegenwart. In all ihrer Form in allen möglichen Sprachen. Auf die Hintergründe und Zusammenhänge der entstandenen Texte und Melodien, der Dichter und Komponisten beider Geschlechter sollen auch unsere wöchentlichen Beiträge im Mitteilungsblatt der Stadt Schriesheim hinweisen. Sie alle können lesen, dass es dazu viel und mit großer Begeisterung und intellektuellem Tiefgang zu schreiben gibt. Dass in den vergangenen Jahrzehnten viel zu wenig dazu gesagt wurde.

Ein Beispiel: „Ich bete an die Macht der Liebe“. Gäbe es eine Hitparade für kirchliche Musik, wäre dieses Lied unter den Top10. Eine russische Melodie. Mit protestantischem Text. Ergänzend gedichtet durch einen katholischen Priester.

Oder Rock MI, in der Original- oder Weihnachtsversion. Die Grundtöne eines Rocksongs der englischen Gruppe „Queen“ so umgesetzt, dass es ein ganzer Chor singen und – wie beim Jubiläum – auch mit Blasmusik spielen kann.

Das ist es, was Musik schon seit Urzeiten kann. Sammeln, kombinieren, erfinden. Interpretieren, erweitern, ein eigenes Gefühl mitbringen. Frischen Wind geben, ein bisschen neues Leben einhauchen. Altes Gesangsgut neu denken. Die Zeiten ändern sich und mit ihr der Geschmack. Das Leben geht weiter und mit ihm die Kultur. Wenn jetzt noch richtig betont und gesungen wird – und nicht bloß geträllert – entsteht mit dieser Sangeskultur möglicherweise ein magischer Moment.

Die Lyra soll ein Ort sein, in dem das Alte nicht vergessen, sondern in Ehren gehalten wird. Wir halten niemanden davon ab, deutsche Volkslieder zu stiften, ganz im Gegenteil. Die Lyra soll jedoch zudem ein Experimentierfeld für andere musikalische Ausdrucksformen sein. Deshalb wurden die „Söhne Schriesheims“ gegründet. Deshalb bringt im zweiten Teil des Abends erneut die „Lyra Combo“ nicht nur ein Weihnachts-Medley zu Gehör.

Ich weiß sehr genau, dass sich viele wohl fühlen, wenn sie jedes Jahr das zu hören bekommen, was sie schon ewig kennen. Ich weiß aber auch, dass viele jedes Jahr kommen und neugierig sind, was nun wieder Neues geboten wird. Beides darf sein. Beides hat seine Berechtigung. Beides wird hier bedient.

Ob sich weiter etwas daraus entwickelt? Weiß ich nicht. Ist auch nicht entscheidend.

Wichtig ist nur eines: Ich werde niemanden davon abhalten, auf diese Bühne zu gehen, um MUSIKALISCH zu zeigen, was in ihm steckt, was herauswill.

Jede oder jeder, die/der hier auf die Bühne geht, trägt dazu bei, dass es weiterhin Kultur gibt. Denn wenn niemand mehr auf die Bühne geht, gibt es keine Kultur mehr.

In der Corona-Zeit haben unsere Konzert- und Jubiläums-Partner, die „Kurpälzer Krummhornbläser“ auf ihrer Facebook-Seite damit geworben: „Ohne uns bleibt es still“. Es braucht dazu keine weiteren Worte. Wir alle wissen, dass es während Corona viel zu still war.

Damit es nicht still bleibt, braucht es Mut. Den Mut des Einzelnen. Den Mut, dass es nicht auf Anhieb klappt, die Energie nicht ziehen zu können, die uns alle umgibt. Den Mut, sich in den Dienst des Chors zu stellen. Führung in die Stimme zu legen, wie unser Chordirektor Frank Ewald völlig zu Recht sagt. Wer hier auf die Bühne geht, hat viel geprobt, hat sich redlich bemüht. Wurde auch viel und sicherlich zu Recht in den Proben kritisiert und zu noch besserer Leistung erfolgreich angetrieben.

Damit stehen wir im direkten Gegensatz zum herrschenden Zeitgeist. Dessen Manifestationen sind: Weinerlichkeit, mangelnde Kritikfähigkeit, Bequemlichkeit des Denkens. Denkverbote. Sich selbst nicht zeigen wollen, es sei denn, es liegen wie bei Instagram und Pinterest 1.000 Filter darüber. Sich abgrenzen, sich als Opfer von anderen fühlen, andere verantwortlich machen, nichts beitragen wollen, sich verweigern, harte Arbeit verachten und in Misskredit bringen, lieber den MP3-Player singen lassen.

Wir suchen keinen MP3-Player. Wir suchen weitere Sänger. Das stimmt. Und wie die aussehen und wie alt die sind, ist uns vollkommen egal. Aber Mut müssen sie haben. Mut zu harter Übungsarbeit. Mut, wissen zu wollen, was in einem steckt. Mut, etwas mit aufbauen zu wollen. Mut, den tieferen Sinn und den kulturellen Schatz zu suchen und zu erkennen.

Vielleicht suchen wir stinknormale, vielleicht sogar scheinbar uncoole Jungs und Männer. Die sich dann aber bei uns nicht verstecken müssen, sondern stolz präsentieren dürfen, dass sie hier zu Sängern und Kulturschaffenden wurden. Stolze Sänger und Kulturschaffende, die was können, die was leisten.

Daher meine Bitte: Unterstützen Sie uns in dieser Richtung. Schicken Sie uns Ihre Ehemänner, Lebensgefährten, Söhne, Enkel, Neffen, Großneffen, Freunde, die Söhne und Enkel Ihrer Freunde, Ausbildungs- und Arbeitskollegen und Schulkameraden. Sagen sie es weiter. Machen Sie für uns Werbung.

Ach was, nach diesem Jubiläum: Geben Sie ordentlich mit uns an. Die Lyra wird weiterleben. Und weiter an ihren kulturellen Schätzen der Vergangenheit und Gegenwart graben.

Ihnen allen wünsche ich eine schöne Adventszeit, ein friedliches Weihnachtsfest und einen guten Start ins neue Jahr, bleiben Sie uns gewogen, im nächsten Jahr wird es einige Events mit der Lyra geben, Sie dürfen sich schon jetzt darauf freuen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

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