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Die Gedanken sind frei! – Teil 2

woman holding wine glass selective focus photography

Lustigerweise wird die nächste Strophe nie gesungen, obwohl ein zudem Schriesheimer Männergesangsverein dieser Strophe doch sicherlich gewogen sein müsste:

Ich liebe den Wein, mein Mädchen vor allen,
sie tut mir allein am besten gefallen.
Ich bin nicht alleine
bei meinem Glas Weine,
mein Mädchen dabei:
die Gedanken sind frei.

Beim ersten Hinschauen verlöre ein politisch gemeintes Lied durch diesen „Unernst“ seine eigentliche Botschaft. In der Urfassung ist diese Strophe auch nicht enthalten. Aber vielleicht täuscht das erste Hinschauen. Schauen wir also ein zweites Mal hin.

Das Lied wurde durch das Komponisten- und Freundesduo August Heinrich Hoffmann von Fallersleben („Einigkeit und Recht und Freiheit“, 1841) und Ernst Heinrich Leopold Richter überhaupt erst deutschlandweit bekannt. Die nahmen es 1842 in ihre Sammlung „Schlesische Volkslieder“ auf. Möglicherweise haben sie diese politisch harmlose Strophe getextet. Auch dies kann im Übrigen einen politischen Hintergrund haben. Hoffmann von Fallersleben war zwar kein Teilnehmer der deutschen Revolution von 1848/49, aber er verlor schon 1842(!) seine Professor wegen „anstößiger demokratischer Ideen und Schriften“ (siehe Die Gedanken sind frei, Einigkeit und Recht und Freiheit).

Nach der Ermordung des russischen Dramatikers August Kotzebue durch den Mannheimer Studenten Carl Ludwig Sand galten ja ab 1819 die „Karlsbader Beschlüsse“ mit Zensur der öffentlichen Meinung, Kunst und Kultur und Massenverhaftungen politischer, insbesondere demokratischer Opposition. Wenn nun also Studenten (oder andere Oppositionelle) damals (in Gasthäusern) zusammenkamen und „Die Gedanken sind frei“ anstimmten, konnten sie, beim Auftauchen von Spitzeln oder der Polizei immer noch auf die Strophe mit dem Wein und den Mädchen umschwenken und auf „harmloser Gesangsverein“ machen. Deshalb tarnten sich ja auch so viele politische Vereine als Gesangsvereine.

Kein Wunder, dass der Aufschwung dieser Vereine damit verbunden war. Wer weiß, wie viele dieser „harmlosen“ Strophen insgeheim und unbekannt noch gedichtet worden sein mögen, um den Spitzeln des Deutschen Bundes von 1815-66, insbesondere denen von Österreich und Preußen ein Schnippchen zu schlagen. Wer diese Strophe heute unter „Gender“-Gesichtspunkten nicht mehr aufführen lassen möchte, vollzieht also das Werk der kaiserlichen und königlichen Geheimpolizei beider Länder von damals. Und das erfolgreich!

Wer damals die harmlose Version in der Originalmelodie sang, tat kund, dass er/sie wusste, worum es in dem Lied wirklich ging und tat kund, wo er/sie politisch wirklich standen. Dieses Wissen wollte erhalten werden, bei aller heutigen Tendenz so politisch korrekt wie möglich sein zu wollen.

„Die Gedanken sind frei“ sind auch noch heute ein populäres Lied. Sogar Rechtsrock-Bands (bei denen die Bezeichnung stimmt und wirkliches Programm ist!) mögen ohne es nicht auskommen. Was ja sehr skurril ist, da sie ja die freien Gedanken im Falle eines Sieges abschaffen wollen. Und nicht nur das. Ende der Serie.

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