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Gesellschaftlicher Umbruch und Gesangsvereine 3

red human face monument on green grass field

Die Romantiker des 18. Jahrhunderts, angefangen bei Goethe. Herder, Grimm von Arnim und vielen anderen sammelten die Geschichten und Lieder der Deutschen und der slawischen Völker Osteuropas. Die politischen Umbrüche seit der Französischen Revolution machten aus den damals verachteten Handwerkern, Bürgern und Bauern Wählbare statt Herrschaftssubjekte. Auch wenn das mit der allgemeinen und gleichen Wahl sicherlich länger dauerte, plötzlich waren die einfachen Leute auch jemand, auf den gehört werden musste. 

Das war die Geburtsstunde der Politik- und Gesangsvereine. Die Eintracht in Schriesheim ist das beste Beispiel. In den Gesangsvereinen lernten die Leute nicht nur ihre eigene Kultur erhalten, sondern mit dem Hochdeutschen auch eine über allen Dialekten schwebende Verständigungsmöglichkeit. In den Politikclubs wurde gesungen, in den Gesangsclubs politisiert. Auch die Lyra war ganz klar ab 1923 im politischen Katholizismus verortet. Der Zusammenbruch der Milieus ab dem Jahr 2000 reduziert damit auch ganz klar die Einflussmöglichkeiten des Einzelnen auf eigentlich alle Bereiche des täglichen Lebens. Wer nicht organisiert ist, wird nicht wahrgenommen, kann sich nicht mit Entscheidern konfrontieren, sondern muss alle 4-5 Jahre neue Frustration durchleben, dass die Dinge sich eben nicht so entwickeln wie selbst gewünscht. Rückzug ist nicht angesagt. Mitmachen, mit hinzukommen, mitsingen und auch mitdiskutieren ist die Parole! Sonst machen dann andere die Kultur-Politik – ohne einen selbst.

Mit fatalen Folgen: Wenn sich die These der „kulturellen Aneignung“ wirklich richtig durchsetzt, könnten wir von Lyra/Söhne bald nichts mehr von Elvis singen. Warum? Nun ja, Elvis hat fast nie selbst geschrieben, dafür aber viele Songs schwarzer Musikerinnen und Musiker ins Repertoire übernommen und dafür ordentlich Tantiemen gezahlt. Ist das daher nicht „schwarze“ Musik und wir als Verein „weißer Männer“ dürften das ja nach deren Meinung nicht mehr singen. Warum eigentlich? Oder nehmen wir „Wana Baraka“, ein christliches Lied auf Suaheli, das wir mit sehr großem Anklang und tobendem Applaus auf unserem Konzert 2018 gesungen haben. Nun ja, wir kommen nicht aus Ostafrika, wo Suaheli zu Hause ist. Eignen wir uns also deren Kultur an? Durch meine Zeit in Afrika habe ich auch afrikanische Gewandungen zu Hause und ziehe die natürlich an, wenn Afrikaner zu Besuch sind oder ich in Afrika sein sollte. Dieses sich gewanden ist etwas, das Afrikaner immer sehr freut und was sie als große Wertschätzung empfinden, löst hingegen bei den „Kulturellen Aneignern“ Proteststürme und hasserfüllte Kommentare aus.  Teil 4 und Ende der Serie folgt.

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