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Gesellschaftlicher Umbruch und Gesangsvereine 1

man on red watercraft

Wer bis in die 90er-Jahre in Schriesheim Katholik und musikalisch war, der wurde für den Kirchenchor verpflichtet und auch für die Lyra. Lange Jahrzehnte war der katholische Pfarrer der Präses der Lyra. Jeden Sonntag wurde einem Lyraner in der Kirche konstant und unablässig versichert, dass er auf dem richtigen Weg sei. Hin zu Gott. Ein gottgefälliges Leben führe. Kinder, Kirche, Arbeit, Verein – alles richtig gemacht. Das ist keineswegs eine ironische, vielmehr eine sehr ehrliche und menschliche Betrachtung. Wenn wir mal ehrlich sind, war früher jeder Verein kirchlich, politisch und weltanschaulich zuordenbar. Warum? Wir alle wollen akzeptiert werden. Unseren Platz im Leben haben. Einen festen und sicheren. Der durchaus auch selbst verschuldete Niedergang traditioneller gesellschaftlicher Milieus im Zuge des Zusammenbruches des Ostblocks zeigt nur zu deutlich, dass Menschen irgendwo Mitglied werden, um sich selbst richtig und aufgehoben zu fühlen.

Die traditionellen Bindungen und Darstellungsformen verlieren sich, gerade deshalb formierten sich neue. Allerlei Selbstfindungsseminare, Esoterisches, Persönlichkeitsentwicklung bis hin zu Extremsportarten wie Bungee Jumping, Free falling und Wildwasser Rafting. Menschen wollen spüren, dass sie leben, dass es sie gibt, dass sie selbst „richtig“ sind, sich auf dem richtigen Weg befinden. Durch die Digitalisierung erhöht sich der Stress dieser Selbstfindung. Wer heute in seinem WhatsApp-Status die gejoggten oder mit dem Rad gefahrenen km postet, oder nur sein neues Auto oder seine letzte Reise zeigt, erhält eine Aufmerksamkeitsspanne von 20 bis 30 sec. Danach wird die nächste Meldung angeschaut.

Auf Instagram und ähnlichen Diensten veralten Fitness-Fotos binnen Tagesfrist und gehen in einer Flut zehntausender neuer Fotos unter. Die Moden von heute sind die „Outs“ von spätestens übermorgen. Die neuen Technologien werben mit der Freiheit und permanenten Verfügbarkeit der eigenen Selbstdarstellung. Aber machen sie einen auch zufrieden mit sich selbst? Es darf bezweifelt werden. Eher das Gegenteil, der Stress der Selbstdarstellung, die permanente Forderung nach Selbstoptimierung, Posing und Eigenkontrolle sowie der hunderttausendfache Wettbewerb weckt meines Erachtens nur umso mehr Selbstzweifel. Es kann nie genug sein, nie genüge ich vollständig. Es ist kein Wunder, dass sich die Menschen erschöpft und überfordert, ja sogar überhaupt nicht wahrgenommen und gesehen fühlen. Schon gar nicht richtig und angenommen. Sonntags in der Kirche war es scheinbar einfacher, seinen Platz zu finden. Welche Chancen für Lyra/Söhne darin liegen, nächste Woche.

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