Manche Menschen singen unter der Dusche, andere in aller Öffentlichkeit auf einer Bühne, wieder andere in der Gruppe. Singen scheint in der Natur des Menschen zu liegen. Aber warum fingen die Menschen einst an zu singen?
Bereits in der Antike wurden Theorien über die Entstehung gesungener und gesprochener Laute des Menschen aufgestellt. Auch der griechische Philosoph Platon entwickelte schon einige Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung dazu eine These: Es seien Gefühle wie Aggression oder das Bedürfnis nach sozialer Harmonie, die den Menschen zum Singen bringen.
Sicher ist, dass Gesang bereits in den frühen Stunden der Menschheit eine zentrale Rolle spielte: zur Abschreckung von Raubtieren, im Wettbewerb innerhalb der Art und für die Stärkung des Zusammenhalts in der Gesellschaft mit den Mitmenschen – zum Beispiel wenn man arbeitete oder gemeinsam ums Lagerfeuer saß.
Auch heute noch spielt Singen diese zentrale Rolle. Nicht ohne Grund gibt es selbst in kleinen Städten und Gemeinden oftmals verschiedene Chorgruppen, in denen sich Menschen zusammenfinden, um gemeinsam zu singen. Gemeinsames Singen macht eben einfach Spaß!
Der US-Musikforscher David Huron von der Ohio State University ist der Meinung, dass der Mensch überhaupt erst aus sozialen Gründen mit dem Singen begonnen hat. Der Mensch sei besonders stark auf soziale Beziehungen angewiesen und wolle sich einer Gruppe zugehörig fühlen.
Huron zufolge ist die Musik wahrscheinlich entstanden, um den Zusammenhalt einer Gruppe zu fördern. Diese Theorie untermauert er mit dem Beispiel der noch heute am Amazonas lebenden brasilianischen Mekranoti-Indianer. Diese Indianer sind Jäger und Sammler. Gesang ist fester Bestandteil ihres Alltags. Jeden Morgen und Abend singen die Frauen ein bis zwei Stunden, die Männer beginnen damit sogar schon morgens um halb fünf. Über ihren Gesang definieren sich die Mekranoti als Gruppe. Der Evolutionsforscher Charles Darwin nahm an, dass die Entstehung des Gesangs auf die Werbungsrufe der Vögel während der Paarungszeit zurückgeht.
Darwin beobachtete, dass bei den Vögeln die guten Sänger gegenüber ihren weniger begabten Artgenossen deutliche Vorteile bei der Partnerwahl hatten. Er vermutete daraufhin, dass es bei den frühen Menschen ähnlich gewesen sein musste. Darwin zufolge fingen die urzeitlichen Männer somit an zu singen, um besser bei ihren Frauen anzukommen und folglich ihre Fortpflanzung zu sichern – und das alles, noch bevor sie überhaupt zu sprechen begannen.
Dieser Theorie von Darwin hielt der Philosoph und Psychologe Carl Stumpf entgegen, dass die ältesten bekannten Gesänge – nämlich die der Ur- und Naturvölker – nur selten Liebeslieder gewesen seien, sondern meist kriegerische, heilende oder religiöse Gesänge.
Auch war Stumpf im Gegensatz zu Darwin der Auffassung, dass der Gesang aus den melodischen Bewegungen der Sprache entstanden sei und dass die Menschen somit zuerst sprachen, bevor sie anfingen zu singen. Stumpf nahm an, dass das Verweilen auf einem Ton beim Sprechen einst der erste Schritt zum Gesang gewesen sei.
Auch der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau, der Dichter Johann Gottfried Herder, der Schriftsteller Friedrich Melchior Grimm und der englische Soziologe Herbert Spencer waren der Überzeugung, dass das Singen überhaupt erst aus der Wortsprache entstehen konnte. Rousseau beispielsweise glaubte, dass sich der menschliche Gesang aus leidenschaftlichem, erregtem Sprechen entwickelt habe.
Es zeigt sich, dass es bei der Frage nach dem Zusammenhang von Gesang und Sprache bis heute ähnlich zugeht wie bei der Frage, was zuerst da war: das Ei oder das Huhn. Was existierte also zuerst, die Wortsprache oder der Gesang?
Einige Theorien in der Forschung nach den Anfängen des Gesangs vermuten, dass der Mensch zuerst gesungen hat und danach erst begann, durch Wortsprache mit seinen Artgenossen zu kommunizieren.
Andere Forschungsansätze gehen jedoch genau vom Gegenteil aus, nämlich dass der Gesang überhaupt erst aus der Sprache entstehen konnte. Das klingt logisch. Denn wer nicht spricht, der kann auch gar nicht analysieren, dass während des Sprechens der Atem aus den Lungen durch die Luftröhre nach draußen will. Aber diese Erkenntnis muss am Anfang des Singens gestanden haben. Schließlich üben nicht nur wie vor jeder Singstunde den Luftstrom aufzubauen, sondern auch die Erfinder/innen der Flöte aus Gänsegeierknochen vor 42.000 Jahren müssen also das Prinzip des Luftstroms und der daraus entstehenden Töne gekannt haben. Was für eine Erkenntnis dieser Menschen von damals.
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