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We are all Künstler

person holding white tealight candle

Wir alle, die hier in Mitteleuropa leben sind Nachfahren der 3000 Höhlenmenschen, die vor ca. 42000 Jahren in der Zeit der Aurignacien hier lebten. Diese Menschen beklecksten die Wände ihrer Höhlen, bauten Instrumente, z.B. Flöten aus Tierknochen, haben folglich auch gesungen und sich wahrscheinlich auch Geschichten erzählt, ohne eine Schrift zu entwickeln.

Also ist klar, woher Salvador Dali, Friedrich Schiller, Friedrich Silcher und Joseph von Eichendorff ihre Begabung haben. Dieselbe Begabungen ruhen auch in uns allen. Vielleicht nicht derselbe Wunsch oder der Fanatismus, das alles auszuleben, aber die genetischen Anlagen sind in uns allen. Yes, we are all Künstler. Was machte einen Friedrich Schiller zu einem Säulenheiligen? So dass Generationen von Schülerinnen und Schülern denken, das alles hat mir nichts zu tun, das kann ich sowieso nicht. Schiller wäre beinahe am Nationaltheater in Mannheim durchgefallen. Als er seine „Räuber“ vortrug, brach das Auditorium in Gelächter aus. Schenkelklatschend dachten alle, sie wären in einer früheren Form des Kabaretts – Schiller sprach nämlich breitestes Schwäbisch.

Er war zudem schlampig gekleidet und seine Perücke war ebenfalls ungepflegt. Unter der noch nicht vorhandenen Neckarbrücke wäre er nicht aufgefallen, im Theater schon. Dali war als Maler ein Genie, aber auch ein arrogantes Stück Mensch, eine Art Monster seiner selbst. In Francos Spanien – in dem schon der zweiteilige Bikini als obszön galt -führte er ein nacktes blondes Model wie einen Hund an der Leine. In der Öffentlichkeit. Dali brachte Devisen. Daher durfte er, was andere ins Arbeitslager gebracht hätte. Aber auch diese Riesenauftritte konnte nie das riesige Loch im eigenen Herzen schließen. Dali hatte nicht mal einen eigenen Vornamen. Ihm wurde der seines verstorbenen Bruders gegeben. Er sollte nur Ersatz sein. Platzhalter. Kein eigener Mensch. Dali wird als junger Erwachsener als alberner Hanswurst beschrieben. Als Mann mit zwei linken Händen. Ein Impotenter, verheiratet, aber nur der Form halber. Alles diente also der Kompensation.

Joseph von Eichendorff – der Name zeigt es schon an – war aus bester Familie. Sein Leben stand fest, Heirat, Beamter, Offizier oder Kleriker, alles im gehobenen Dienst. Festgelegt von der Wiege bis zur Bahre. Die Dichtkunst und die spätere Vertonung ins Volkslied, war für ihn der einzig mögliche Fluchtpunkt. Er wurde (kein besonders guter) Beamter allerdings ein besserer Dichter.

Friedrich Silcher wäre als zerstreuter Professor im enggassigen Tübingen gar nicht aufgefallen. Da liefen die zu Dutzenden rum. Die meisten hatten einen vorgeschriebenen Weg zurückgelegt: Lateinschule, Landexamen, Maulbronn (Hermann Hesse ironisiert das in „Unterm Rad“) und dann das Stift in Tübingen. Die Werke von Bengel und Oetinger auswendig lernend, die schwäbische Kabbala rezitierend, aber bloß auf keinen eigenen schöpferischen Gedanken  kommen sollend. Jurist in der Verwaltung, Pfarrer das Leben lang, jede Woche im Prinzip dieselbe Predigt vom strafenden Gott und dem sündigen Menschen. Silcher dachte da anders. Seine Lieder sind personalisiert, richten sich an alle Menschen, die unter diesen drückenden Verhältnissen lebten. Gab ihnen neue Ideen ein. Sammelte Spenden durch öffentliche Konzerte. Für die Demokratie. Für polnische und griechische Aufständische und Revolutionäre. Kommt uns doch bekannt vor, oder?

We are all Künstler. Diese Namen sind exemplarisch. Drei davon stehen auch im Zusammenhang mit der Lyra. „Freude schöner Götterfunken“ ist eine Schillersche Dichtung, vertont von Beethoven. Und Silcher und von Eichendorff gehören wie diese Schillersche Dichtung zum Repertoire der Lyra. All diese Menschen sind keine Marmorfiguren, sondern Menschen mit Ängsten und Zweifeln, mit Ideen und Vorhaben. Sie haben ihren Genen nachgegeben. SO als hätten sie schon gewusst, dass es Epigenetik gibt, dass in uns die Erfahrungen und Begabungen aller unserer Vorfahrinnen und Vorfahren schon angelegt sind. Wir ignorieren das gerne. Weil wir das für unmöglich halten und natürlich Angst vor dem Scheitern haben. Weil uns tausend Gründe einfallen, warum wir es nicht mal anfangen und versuchen wollen. Warum stellen wir unser Licht unter den Scheffel? Jawohl, vielleicht sind wir nicht so verfeinert in unseren Ausführungen wie die genannten Herren. Unsere Kultur fußt aber auf den Millionen Menschen, die keine Genies sind und dennoch Kunst machen. Kopieren. Neu kombinieren. Hervorbringen, interpretieren, aufführen. Weil Kunst eben aufgeführt werden will. Begreifbar gemacht. Damals in der Höhle und heute auch davor. Kunst dient nicht zur Weltflucht. Sie ist ein Reservat, um Kraft zu tanken, sich selbst bewusst zu werden. Daher: Yes! We are all Künstler. Lasst es raus. Probiert es. Gebt Euch einen Ruck. Probe- und Projektsänger sind jeden Donnerstag ab 18.45 Uhr im Sängerheim Bismarckstr. 48. Herzlich willkommen.

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