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Anton Geiß – Teil 4

…und die politische Emanzipation der Männerchöre

ein Beispiel zeigt, dass Armut keine automatische Grundlage für Hass oder Gewalt sein muss. Eher lernen solche Menschen, dass sie auf andere angewiesen sind und sich Verbündete suchen müssen. Gemeinsam sind wir stark. Mao und Lenin stammten von gebildeten Großbauern bzw. bourgeoisem Amtsadel ab und lebten auf deren Kosten. Hitlers Vater war mittlerer Beamter, seine Rente ließ seinen Sohn jahrelang in nichtstuerischen Tagträumen verweilen. Die Attentäter des 09/11 waren fast ausnahmslos im Ausland studierende Kinder von Großbürgern, Osama bin Laden ein Milliardärssöhnchen. 

Anton Geiß erlernte ein Handwerk, er war Schreiner und Parkettleger und wurde mit 37 Jahren Wirt. Ein Wirt braucht Empathie, muss reden aber noch viel mehr zuhören können, und lebt selbstverständlich durch die Einnahmen seiner Hinterzimmer. Da treffen sich seine Partei, deren Untergliederungen und ihre Gesangs-, Kultur- und Bildungsvereine. Wenn Anton Geiß schon selbst nicht (mit-)gesungen hat, so hat er doch Gesangsvereinen eine Heimat gegeben und ihnen damit eine Stimme gegeben. Sie sind dann auch die Basis seines politischen Erfolgs gewesen – mit gutem Erfolg will ich meinen: Mit Unterbrechungen war er von 1893 bis 1918 Mannheimer Stadtverordneter und Stadtrat sowie von 1895 bis 1921 Landtagsabgeordneter und von 1919 bis 1920 badischer Ministerpräsident und Verteidigungsminister. Von 1908 bis 1919 war er zudem Vorsitzender der badischen SPD. Anton Geiß gehört zum Reformflügel der SPD an. Er wird dafür auch in der SPD aktiv gemobbt. Ihm ist die Zusammenarbeit mit anderen politischen Kräften wichtiger, um konkrete Verbesserungen für seine Wähler zu erreichen, als die ideologische Reinheit seiner Politik. Seine Gesangsbrüder oder -kunden werden ihm schon sehr früh gesagt haben, wo der Schuh drückt.  Wenn er es nicht schon selbst aufgrund seiner Jugend gewusst hätte. Mehr Wohnraum, generell bessere und gesündere Wohnungen, mehr und bessere Bildungs-(Einrichtungen), mehr Lohn, Mitbestimmung in den Betrieben. Die SPD im Süden des Deutschen Reiches, also in Baden, Württemberg und Bayern, stimmte mit den liberalen oder konservativen Regierungsparteien, um das Budget zu verabschieden. Die Reichs-SPD unter der Führung von August Bebel sah dies als Verrat an den Prinzipien der SPD. Bebel war kein Prolet wie Geiß, er stammte aus einer bürgerlichen Familie. Bebel war zudem bezahlter Autor seiner Bücher, Ideen und Ideologie. Er war zusagen „Revolutions-Unternehmer“ und verkaufte „Seele“ und keine praktische Politik. Noch bis 1911 versuchten daher Anhänger von Bebel als auch des marxistischen Zentrums der SPD unter Liebknecht senior und junior, Geiß und seine Reformfreunde aus der SPD auszuschließen.

Teil 5 folgt.

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