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Anton Geiß – Teil 6

group of children playing on green grass

…und die politische Emanzipation der Männerchöre

IDa setzten sich die Gesangsvereine, „Spießer“ und „Stammtischpolitisierer“ hüben wie drüben durch. Der konziliante Anton Geiß war mglw. kein großer Redner. Es gibt m.W. keine Aufnahme von ihm. Er stand auch nicht in der publizistisch ersten Reihe. Die Medien nahmen nicht ihn zur Kenntnis, sondern eher den badischen Reichstagsabgeordneten Ludwig Frank, der sich auch persönlich mit Bebel anlegte. Aber die Liberalen sprachen lieber mit dem praktischen, im Hinterzimmer agierenden Anton Geiß. „So wuchs“ an Reformkräften „zusammen, was zusammengehörte“, wie später Willy Brandt in ganz anderem Zusammenhang meinte. Es entstand von 1907 bis 1913 der „Großblock“ zwischen SPD und links- und Nationalliberalen, ab 1917 Linksliberale und SPD zusammen mit dem Zentrum „die Koalition für Frieden ohne Annektionen“ und ab 1918 dann die spätere „Weimarer Koalition“ aus SPD, Zentrum und Linksliberalen. Die SPD war dann erstmalig in der Regierung mit dabei. Die Sänger gaben auch das Programm vor: Mehr Bildung. Mehr und bessere Wohnungen. Mehr Mitbestimmung.

Wie schon erwähnt: Ein Bebel hätte diese Koalition nie geschlossen. Sänger hin oder her. Anton Geiß tat es. Mit gutem Erfolg. Geiß führte die SPD aus der Fundamental-Opposition in die Regierung. Seine Wähler waren nicht mehr Outsider, sondern willkommene Stimmbringer – und das nicht nur gesanglich. Das brachte auch die katholische Zentrumspartei Badens auf den Plan. Sie machte es genauso und so wechselten ab 1913 in Baden die Koalitionen zwischen SPD oder Zentrum mit Liberalen und Bauernpartei. Geiß vorbildliche Politik kam also auch denjenigen zugute, die nicht Mitglied seiner Partei waren. Er war ein Mann, der etwas aus sich gemacht hat, ohne die anderen dabei zu vergessen. Menschen, die ökonomisch bessergestellt sind, engagieren sich mehr und sehen daher mehr Chancen für sich und ihre Nachkommen. Eine Entwicklungsspirale nach oben sozusagen. Man kann sagen, ohne Geiß – und seine Gegenüber in den anderen Parteien – keine bessere Bildung und keine bessere Politik, und ohne das 1923 auch keine Lyra. So jemand muss im 75. Jahr des deutschen Grundgesetzes und der zweiten deutschen Demokratie geehrt werden. Stellvertretend für die vielen Leute, die sich damals, heute und in Zukunft für dieses Land und diese Stadt engagieren. Ingo Kuntermann P.S.: Anton Geiß „was no hero“, kein Ideal- oder Übermensch. Er war sicherlich ein Mann voller Zweifel und Fehler. Wer viel Politik macht, der hat nicht viel Zeit für Familie. Im Film „Amadeus“ wird Mozart der Ausspruch in den Mund gelegt, dass die Geschichte alter Götter und Helden „so erhaben klängen, als würden sie Marmor scheißen.“ Anton Geis Lebensgeschichte kann man das sicherlich nicht vorwerfen. Er war ein normaler Mann aus dem Volk, ein normaler Mann der Gesangsvereine. Daher die Ehrung. 

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