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Knäckebrot und Diamanten

brown gift box

„Du bist also schon wieder auf Diät?“ Ich sah meine Mutter zweifelnd an. Seit Jahren jagte sie einer Schlankheitskur nach der anderen nach. Mama nickte nur. „Diesmal halte ich es auch durch.“ Das sagte sie jedes Mal. Ich grinste und stand auf. Mit einem Lächeln erklärte ich meiner Mutter, dass ich mich mit Papa zum Shoppen verabredet hätte. „Was kauft ihr denn ein?“ Ich lachte und sagte beim Verlassen der Küche: „Weihnachtsgeschenke natürlich, was sonst?“

Nach dem Einkauf saßen Papa und ich im Wohnzimmer. Auf dem Tisch stand die Schmuckschatulle mit dem Ring, den er meiner Mutter gekauft hatte. Geschmack hatte mein Vater, das musste man ihm lassen. Allerdings auch einen Hang zu schwarzem Humor. Denn genau als ich aufstand, um Geschenkpapier zu holen, damit ich den Ring verpacken konnte, schüttelte er den Kopf. „Den brauchst Du nicht einpacken.“ Ich sah ihn fragend an. Papa grinste verschmitzt, was ihn glatt 20 Jahre jünger aussehen ließ. Er erklärte: „In der Küche steht eine Packung Knäckebrot, hol die mal.“ Ich war verwundert, folgte aber seinem Wunsch. Hatte er Hunger? Ich brachte im das Gewünschte und er nahm die noch geschlossene Packung, öffnete sie vorsichtig, nahm den Ring aus dem Schmuckkästchen und ließ in vorsichtig in die Packung gleiten. Dann schloss er die Packung und reichte sie mir. „Das kannst du jetzt einpacken.“

Ich sah ihn für einen Moment zweifelnd an. „Findest du das wirklich eine gute Idee? Meinst du nicht, Mama ist beleidigt, wenn du ihr Knäckebrot schenkst?“ Er schüttelte den Kopf. „Deine Mutter wird den Ring finden, und den Spaß verstehen. Da sei dir mal sicher. Ich bin seit über 20 Jahren mit ihr verheiratet.“ Ich nickte, und langsam packte ich die Schachtel Knäckebrot ein, um sie dann zu den anderen, bereits verpackten Geschenken zu legen. Sicher hatte Papa recht. Eigentlich war meine Mutter immer für einen Spaß zu haben.

Der Heilige Abend verlief wie immer in unserer Familie. Nach dem Essen saßen wir gemütlich im Wohnzimmer zusammen, sangen mit Oma und Opa ein paar Weihnachtslieder und lasen die Weihnachtsgeschichte vor. Dann ging es an die Bescherung. Die glitzernden Päckchen wurden verteilt, und Stück für Stück ausgepackt. Unter fröhlichen Geplapper und mit erfreuten Gesichtern unterhielten wir uns. Bis meine Mutter die Packung Knäckebrot auspackte. Es war deutlich zu sehen, dass sie sich um ein Lächeln bemühte, jedoch misslang dies gründlich. Sie sah erst mich an, dann wandte sie sich zu meinem Vater um. Ihre Stimme war schneidend, als sie nur ein einziges Wort sagte: „Knäckebrot?“ Mein Vater machte ein unschuldiges Gesicht, er war ein hervorragender Schauspieler. Seine Antwort ließ die Zornesröte im Gesicht meiner Mutter erscheinen, sie rang um Fassung als Papa sagte: „Nun, du sagst doch immer, dass wir uns nichts schenken sollten. Und ohne wenigstens eine Kleinigkeit für dich zu haben, hätte mir Weihnachten keinen Spaß gemacht, weißt du? Und da du im Moment auf Diät bist, dachte ich, eine Packung Knäckebrot wäre sinnvoll.“

Die eingetretene Stille im Raum wurde von Opas Kichern unterbrochen, und dieses Geräusch schien den Gefühlsausbruch meiner Mutter herbeizuführen. Tränen liefen über ihre Wangen, erbost stand sie auf, verließ ohne ein weiteres Wort und mit der Packung Knäckebrot in der Hand den Raum. Das Letzte, was wir an diesem Weihnachtsabend von ihr hörten, was das Schmettern der Schlafzimmertür, danach herrschte erneut Stille. Ich sah meinen Vater an, der schüttelte den Kopf zunächst, dann nickte er. „Sie wird sich wieder beruhigen.“ Nur wenig später verließen Oma und Opa uns auch, und wir gingen alle zu Bett.

Am Weihnachtstag kam ich schlaftrunken in die Küche. Meine Mutter saß am Küchentisch und trank eine Tasse Kaffee, ihr Blick kalt und abweisend. Ich setzte mich zu ihr. Statt eines „Guten Morgen“ gab sie lediglich ein gequältes „Knäckebrot“ von sich. Ich zuckte mit den Achseln. „Hast du die Schachtel denn geöffnet?“ Ich sah meine Mutter während meiner Frage prüfend an. Diese schüttelte den Kopf. „Ich habe sie weggeworfen. Sie liegt im Müll.“ Ich riss die Augen auf, erhob mich und rannte hinunter in den Keller des Mietshauses, in dem wir wohnten. Mit klopfendem Herzen öffnete ich den Deckel unserer Mülltonne. Beißender Geruch nach Abfall stieg in meine Nase. Ich sah keine Schachtel mit Knäckebrot. Beherzt begann ich mit den Händen im Müllbeutel zu wühlen. Die Packung war nicht da. Mit hängenden schultern stieg ich die Treppen wieder hinauf.

Meine Mutter hatte ihre Position nicht verändert, sie blickte mich fragend an. „Du hast kein Knäckebrot von Papa bekommen, das war nur ein Witz. In der Packung war ein Ring!“ Ich sah das Blitzen in den Augen meiner Mutter, ihr Mund öffnete sich und sie erhob sie, um in Richtung Tür zu gehen. „Spar dir den Weg, die Schachtel liegt nicht im Müll.“ Als wären meine Worte sein Stichwort, öffnete sich die Küchentür, und Papa kam herein. „Was liegt nicht im Müll?“ Mit wenigen Worten erklärte ich, was vorgefallen war und bemerkte, wie meine Mutter auf ihrem Stuhl immer kleiner zu werden schien. Mein Vater grinste, goss sich eine Tasse Kaffee ein und betrachtete meine Mutter schweigend für einen Moment. Die sah zu Boden, offensichtlich unfähig, meinem Vater in die Augen zu sehen. Sie sagte kein Wort. Papa drehte sich zu mir um, und mit der gleichen Stimme wie gestern sagte er noch einmal den Satz: „Ich bin seit über 20 Jahren mit Deiner Mutter verheiratet. Ich kenne die Frau.“ Mit diesen Worten drehte er sich um, und öffnete ein Küchenschränkchen. Er entnahm eine geschlossene Packung Knäckebrot und hielt sie meiner Mutter hin. Mit einem Zwinkern fuhr er fort: „Es war mir klar, dass sie im Zorn die Packung wegwerfen würde. Also habe ich die Packungen ausgetauscht. Diese Schachtel hier ist das eigentliche Geschenk.“

Das Lächeln meiner Mutter war kläglich, als sie mit zitternden Fingern die Schachtel öffnete, doch schon einen Augenblick später strahlte sie über das ganze Gesicht. Wortlos stand sie auf, umarmte meinen Vater und flüsterte: „Ich bin noch genauso dumm wir vor über 20 Jahren, aber ich würde dich jederzeit wieder heiraten.“

Quelle: Wochenblatt

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