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Hans Pfitzner und die Disteln für Hagen – 5

Es scheint so, dass Pfitzner aber generell jegliche Weiterentwicklung fürchtete und damit bis aufs Blut bekämpfte. In der Gesellschaft und in der Familie. Aus kleinen Kindern, die man lenken und leiten kann, werden Erwachsene mit eigenen Ansichten. Er zerstreitet sich mit allen drei Kindern. Sein erster Sohn stirbt früh, seine Tochter begeht Selbstmord (er lässt sie im Stich) und sein zweiter Sohn wird im Zweiten Weltkrieg getötet. All diese Schicksalsschläge vertiefen seine verbalen Injurien lediglich, sie erschaffen sie nicht grundsätzlich. Pfitzner wurde nicht erst nach 1945 zum Nationalsozialisten, er war es schon in den 1920ern. 1933 war er mit seinen 64 Jahren für die Naziführer (die durchweg 20 Jahre jünger waren) bereits ein alter, abgeschriebener Mann, den sie nicht ernst nahmen. Da ändern auch die Dotationen bis 1945 nichts daran. Aber Pfitzners verbale und schriftstellerische Ausfälle waren natürlich gefundene und hilfreiche Fußnoten für die Nazis, z. B. um den Nobelpreisträger Thomas Mann als „undeutsch“ auszubürgern. Pfitzner war ein menschlicher und politischer Peter Pan. Schwadronieren. Verschwörungs- und Untergangsszenarien publizierend. Von sich selbst phantasieren, anderen faule Eier in Nest platzieren und in jeder Anklage jegliche menschliche Verantwortung vermissen lassen. Die Schuld immer bei den anderen suchend. Nie bei sich selbst. Eiskalt in zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine „gelungene“ Personifizierung des Zeitgeistes nach 1945. Ein ganz kleiner Geist, nach dem in Schriesheim eine unbedeutende Rund-Straße benannt wurde. Eine Straße, die im Verlauf um sich selbst kreist und zu sich selbst zurückführt. Wie hochsymbolisch. Das hätte sich kein Dichter besser ausdenken können. Diese Straße sollte in der Tat nicht umbenannt werden. Sie ist ein Mahnmal für den altdeutschen, modernefeindlichen, undemokratischen und reaktionären Ungeist, der dieses Land in zwei Weltkriege und einen Holocaust geführt hat. Pfitzner steht stellvertretend für die verantwortlichen deutschen Peter Pans auf den verschiedenen Führungsebenen des Dritten Reiches. Nicht nur für Höß und Eichmann. Auch für Joachim Fernau, der 1966 (und in vielen weiteren Auflagen bis Anfang 1990) noch in seinem „Disteln für Hagen“ (und nicht nur da) seine antisemitischen Stereotypen populär und unkritisch publizieren darf. Daher auch der Titel dieser Serie. Hans Pfitzner und Joachim Fernau sind ein braunes Herz und eine nationalsozialistische Seele. Genau wie deren Apologeten bis in unsere heutige Zeit. Hoffen wir, dass wir Deutschen unserer Tage erwachsener geworden sind, als es Pfitzner und Fernau je waren.

Ende der Serie.

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